Kindheit und Jugend in Kerpen – Zeitverhältnisse
Am 8. Dezember 1813 wurde Adolph Kolping in Kerpen, einer Kleinstadt in der Nähe Kölns, geboren. Seine Geburt, ja sein ganzes Leben, fällt in eine Epoche tiefgreifenden Wandels, umwälzender Veränderungen in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher, politischer, religiöser und weltanschaulicher Hinsicht im Gefolge der Französischen Revolution und – später dann – der industriellen Revolution. Ein Beispiel dafür ist bereits die Tatsache, daß Kolpings Geburtsurkunde in französischer Sprache abgefaßt ist; für kurze Zeit gehörte das linksrheinische Deutschland noch zum unmittelbaren Herrschaftsbereich Napoleons, ehe es dann nach dessen Niederwerfung zum größten Teil an Preußen fiel. Überhaupt erfuhr die politische Landschaft Deutschlands gerade in den Jahren bis 1815 grundlegende Veränderungen. Von den einst etwa fünfhundert selbständigen politischen Gebilden waren bis zum Ende der napoleonischen Ära nurmehr rund vierzig übrig, nachdem sich die größeren Staaten die Masse der unabhängigen Standesherrschaften, Reichsstädte und geistlichen Territorien einverleibt hatten, was als Ausgleich für die durch das Ausgreifen des revolutionären Frankreich eingetretenen Gebietsverluste gerechtfertigt wurde. Diese noch verbleibenden Staaten sahen sich nun vor die keineswegs leichte Aufgabe gestellt, sehr unterschiedliche neue Landesteile – unterschiedlich auch in konfessioneller Hinsicht – zu integrieren. Die katholische Kirche Deutschlands war durch die Säkularisation nahezu ihres gesamten weltlichen Besitzes beraubt worden, stand also vor einer völlig neuen Situation, zudem noch bedrängt durch staatliche Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und durch wachsende weltanschauliche Gegnerschaft. Während in langwierigen Verhandlungen mit den Staaten eine neue materielle Existenzgrundlage geschaffen werden mußte, erlebte die Kirche trotz ihrer äußeren Schwäche einen ungeahnten inneren Aufschwung, kam es zu einer nachhaltigen Neubelebung und Intensivierung des kirchlichen Lebens.
Wichtiger noch als territoriale Veränderungen war der sich vollziehende Wandel im politischen Denken und Wollen der Menschen. Die Forderung nach Freiheit und Gleichheit, und damit auch nach politischer Mitsprache, wie sie das französische Bürgertum in der Revolution von 1789 auf seine Fahnen geschrieben hatte, breitete sich auch in Deutschland unaufhaltsam aus und verunsicherte die herrschenden Mächte, für die derartige Forderungen meist noch eine bedrohliche Gefahr darstellten. Immer weniger war es in der Folgezeit jedoch möglich, dem Bürgertum, das die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage der Nation weitgehend prägte, die konkrete Mitwirkung am politischen Geschehen zu verweigern; ganz allmählich beginnt die Einrichtung und Ausbildung von Parlamenten und politischen Parteien, nachdrücklich vorangetrieben durch die Revolution von 1848. Ebenfalls in direktem oder indirektem Zusammenhang mit der Französischen Revolution und ihren Auswirkungen steht die in diesen Jahren erfolgende Einleitung grundlegender, sozialer Wandlungsprozesse, die das Leben zahlreicher Menschen veränderten. So auf der einen Seite die Bauernbefreiung, also die allmähliche Beseitigung der traditionellen Abhängigkeit der Landbevölkerung von Grundherren, auf der anderen Seite die Einführung der Gewerbefreiheit, von der vor allem das Handwerk betroffen war. Mit ihr war nämlich das endgültige Ende des Zunftwesens gekommen, das in den vorangegangenen Jahrhunderten das Leben der städtischen Handwerks in umfassender Weise geprägt hatte. In dieser Zeit wurden auch die ersten Ansätze der Industrialisierung sichtbar, die – von England ausgehend – in der Folgezeit die Welt so nachhaltig wie selten zuvor verändern sollte, freilich begleitet von einer Fülle ungeahnter Probleme und Konflikte. Sie wurden schließlich, zusammenfassend mit dem Begriff „soziale Frage“ gekennzeichnet, zu dem zentralen Thema des 19. Jahrhunderts schlechthin.
Von all dem, auch von den geistigen Strömungen und Auseinandersetzungen einer Epoche, in der der Liberalismus zur vorherrschenden Weltanschauung breiter bürgerlicher Schichten wurde, war in den Jahren um 1813 in Kerpen wohl noch wenig zu spüren. Entscheidend ist jedoch, daß sich in dieser Zeit Entwicklungen und Wandlungen anbahnten bzw. vollzogen, die für das spätere Leben und Wirken Kolpings von grundlegender Bedeutung waren.
Kolping war das vierte von fünf Kindern eines Schäfers und Landwirts. Die wirtschaftliche Situation seines Elternhauses kennzeichnet Kolping selbst mit dem Hinweis, das der ganze Reichtum der Familie in einer zahlreichen Kinderschar bestanden habe. Bei aller Dürftigkeit der häuslichen Verhältnisse war das Familienleben jedoch glücklich und harmonisch, von Liebe erfüllt und durch Zufriedenheit gekennzeichnet, wurzelnd in tiefer Religiosität. Eben diese Grunderfahrung ist für Kolpings gesamtes späteres Wirken von prägender Bedeutung gewesen; wenn er stets die wichtige Rolle eines glücklichen, zufriedenen Familienlebens und die Notwendigkeit einer festen religiösen Verwurzelung des Menschen betonte, so war dies in wesentlichem Maße durch die eigene Kindheitserfahrung bestimmt.
Nicht zuletzt die nicht besonders robuste körperliche Konstitution erlaubte Kolping den regelmäßigen Besuch der heimatlichen Schule in den Jahren 1820 bis 1826. Hier ist daran zu erinnern, daß der regelmäßige Schulbesuch für die Kinder der Landbevölkerung in jener Zeit keineswegs eine Selbstverständlichkeit war, zumal da erst in diesem Zeitraum überhaupt das ernsthafte Bemühen um die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht einsetzte. An seinen Lehrer Jakob Wilhelm Statz erinnerte sich Kolping Zeit seines Lebens mit besonderer Dankbarkeit, bot dieser dem lernbegierigen und -fähigen Knaben doch mehr, als es für den Dorfschulmeister jener Zeit üblich war. In diesen Jahren wurde in Kolping der Wunsch nach höherer Bildung geweckt, der freilich zunächst nicht in Erfüllung gehen konnte; die Familie war nicht in der Lage, die mit dem Besuch einer höheren Schule verbundene finanzielle Belastung zu tragen. Wohl oder übel mußte sich Kolping entschließen, einen Beruf zu erlernen. Er wurde Schuhmacher, arbeitete drei Jahre als Lehrling in seinem Heimatort und anschließend noch sieben Jahre als Geselle in verschiedenen Orten der näheren Umgebung, zuletzt in Köln. Seine beruflichen Fähigkeiten entwickelten sich in dieser Zeit immerhin so, daß er schließlich in einer der führenden Werkstätten Kölns Beschäftigung gefunden hatte.
Handwerker – Lebenssituation der Gesellen
In den zehn Jahren seines Handwerkerlebens lernte Kolping die Situation des Handwerks sehr genau kennen, war er doch stets ein Mensch, der sich intensiv mit der ihn umgebenden Wirklichkeit auseinandersetzte. Weithin befand sich das Handwerk in dieser Zeit in einer schwierigen Lage. Die Einführung der Gewerbefreiheit und das Ende des Zunftwesens brachten es mit sich, daß es in den Städten oft eine übergroße Zahl von Handwerksbetrieben gab, die dann zum Teil nur eine recht kümmerliche Existenz führen konnten, die kaum den Meister und seine Familie zu ernähren vermochten. Das Überangebot an Betrieben führte natürlich zu einem überaus heftigen Konkurrenzkampf, der nach Wegfall der Zunftordnung keinerlei Regelungen mehr unterlag. Für zahlreiche Meister bedeutete dies den Ruin und dann vielfach – wie auch für viele Gesellen – das Absinken in das sich allmählich herausbildende Industrieproletariat. Gerade durch das Aufkommen des Industriebetriebes wurde die Situation für manche Gewerbe noch erheblich verschärft, da zur Konkurrenz aus den eigenen Reihen noch die weit gefährlichere des maschinell gefertigten und deshalb billigeren Industrieproduktes trat.
Im ganzen kann gesagt werden, daß es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der beschaulichen Ruhe und der festgefügten Ordnung des handwerklichen Lebens vielerorts vorbei war. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich – mehr oder weniger zwangsläufig – auch im Handwerk allmählich jene spezifisch kapitalistische Wirtschaftsgesinnung ausbreitete, die das Arbeiten und Wirtschaften nunmehr oder doch in erster Linie als Mittel zum Erwerb des Lebensunterhaltes bzw. zur Erlangung von Profit versteht und entsprechend ausrichtet. Eben diese Einstellung, deren allmähliche Durchsetzung in allen Bereichen ein wichtiges Element der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts darstellt, trug wesentlich mit dazu bei, daß Arbeits- und privater Lebensbereich mehr und mehr auseinandertraten, nachdem sie gerade beim Handwerk in der Epoche der Zunftordnung doch eng verflochten gewesen waren.
Für den Gesellenstand brachten diese Entwicklungen einschneidende Veränderungen mit sich. Früher doch weitgehend in den Haushalt des Meisters eingegliedert, gewissermaßen zur Familie gehörig, waren die Gesellen nun durch den Wegfall traditioneller Bindungen und Regelungen ihres Daseins zwar freier und unabhängiger geworden, waren zugleich jedoch außerhalb ihrer Arbeitszeit völlig sich selbst überlassen, auf sich selbst angewiesen, sofern sie keine Aufnahme im Haushalt des Meisters mehr fanden. Dies wurde mehr und mehr zur Regel, seit die Meister im Gesellen in erster Linie nurmehr die bezahlte Arbeitskraft sahen und jeglicher Verpflichtung entbunden waren, sich um das private Dasein dieser Arbeitskraft zu bekümmern. Wirtshaus und Herberge wurden so unvermeidlich zum „Lebensraum“ der Gesellen außerhalb ihrer Arbeitsstätte; ein Umstand, der sich natürlich nicht eben förderlich auf die persönliche und soziale Entwicklung der Betroffenen auswirkte. Kolping spricht, von den eigenen Erfahrungen ausgehend, von einer Verwilderung des Gesellenstandes, von Sittenlosigkeit und Entchristlichung, wie sie sich in zunehmender Deutlichkeit abzeichneten und allmählich dazu führten, daß der „anständige“ Bürger jedem Kontakt mit den Handwerksgesellen tunlichst aus dem Wege ging. Er führt diesen Niedergang in erster Linie auf die Herauslösung der Gesellen aus einem festen Ordnungsgefüge zurück, auf das Sich-selbst-Überlassen-Sein der Gesellen, das er zugleich als Ausgeliefert-Sein an alle Gefahren der Zeit versteht. Als solche Gefahren hebt er vor allem sittliche Verwahrlosung und religiöse Entwurzelung hervor, insgesamt also den Verlust einer festen Lebenshaltung und klarer Orientierungsmaßstäbe, dann aber auch eine gewisse politische Radikalisierung. Gerade die Gesellen hatten auf ihrer ungebundenen Wanderschaft Gelegenheit, die sich in dieser Zeit vielfältig entfaltenden radikalen politischen Anschauungen kennenzulernen, wobei sie ihre neu gewonnenen Ansichten dann oft genug mit in die Heimat nahmen und dort verbreiteten. Nicht zu vergessen ist schließlich, daß solche Entwicklungen auch negative Auswirkungen auf die berufliche Bildung des Handwerksnachwuchses haben konnten.
Im ganzen erscheint die Lage des Gesellenstandes, wie Kolping sie beschreibt, recht düster. Zwar muß man sich hier vor Verallgemeinerungen hüten, da es sowohl in regionaler Hinsicht als auch bei der Situation der verschiedenen Gewerbe große Unterschiede gab, die verfügbaren Quellen lassen jedoch den Schluß zu, daß Kolpings Schilderungen weder krasse Übertreibungen sind, noch bloße Sonderfälle darstellen. Kolping war im übrigen Realist genug, um in der mißlichen Lage vieler Gesellen nicht in erster Linie individuelle Schuld, persönliches Versagen zu sehen, sondern Ausfluß gesellschaftlicher Verhältnisse, Folge auch der geistig-sittlichen Gesamtsituation der Zeit; eine Sicht, die in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich war.
Kolping empfand die eigene Lebenssituation mehr und mehr als Bedrückung. Mit seinem Lebensernst und seiner tiefreligiösen Grundhaltung konnte er sich unter seinen Standesgenossen nicht heimisch fühlen; ebensowenig konnte sich der stets vielfältig interessierte Kolping, dem immer eine höhere Bildung als Wunschbild vor Augen schwebte, der jede Gelegenheit zum Lesen wahrnahm und sich deshalb wohl manchen Tadel seines Meisters und manche Hänselei seiner Kollegen gefallen lassen mußte, in diesen Verhältnissen geistig befriedigt finden. Kolpings innere Unruhe und Unzufriedenheit steigerten sich zusehends. Rückblickend schrieb er später: „Acht Jahre bin ich von einer Stadt zur anderen gewandert, habe … das Leben von guten und bösen Seiten angeschaut, und am Ende … fand ich mich selbst tief in ein Verhältnis gewickelt, das mir nur zu deutlich zeigte, wie unglücklich ich geworden war … Ich fand mich vereinsamt mitten unter meinen Standesgenossen, an eine Lebensweise gebunden, die mir allmählich Grauen einflößte, und doch keinen Ausweg vor mir, aus diesem Labyrinthe zu entkommen. Ich war nahezu 22 Jahre alt …, und ich war rat- und hilflos. Unter dieser Volkshefe konnte ich nicht sitzen bleiben, nicht mein ganzes Leben unter den obwaltenden Umständen verkümmern lassen; und aus dem Verhältnisse heraustreten, von neuem eine andere, mir mehr zusagende Lebensweise beginnen, war ein Unternehmen, das ebenso gewagt als gefährlich war. Was beginnen? … Mein Stand und die Bildung, zu der ich mich … hinaufschwingen wollte, waren unvereinbar, das war mir klar geworden. Auf eines mußte ich verzichten, wenn ich Zufriedenheit und Ruhe finden wollte.“
Schließlich konnte sich Kolping aber doch zur Aufgabe des bisherigen Lebens durchringen, zum Entschluß, sich nun doch noch die ersehnte höhere Bildung anzueignen; ein Entschluß, der ihm durch das große Verständnis erleichtert wurde, das er bei seinem Vater für seine Notlage fand. Das Ziel höherer Bildung, zu der Kolping sich berufen und befähigt glaubte, und die Flucht aus unerträglich gewordenen Verhältnissen standen dabei im Vordergrund. Im Grundsatz ist sicher auch schon das Ziel ausgeprägt gewesen, einmal Priester zu werden; ganz sicher jedoch fehlt bei Kolping zu diesem Zeitpunkt noch der Plan, später einmal etwas für die ehemaligen Standesgenossen zu tun, war er doch froh, überhaupt erst einmal dem Zusammenleben mit diesen entronnen zu sein. Wie ernst es ihm übrigens mit dem Entschluß zur Aufgabe des bisherigen Lebens war, wird beispielhaft an der Tatsache deutlich, daß er das Angebot seines Kölner Meisters ausschlug, die einzige Tochter zu heiraten und die Werkstatt zu übernehmen; ein durchaus verlockendes Angebot, das übrigens auf die menschlichen und fachlichen Qualitäten des jungen Kolping schließen läßt.
Nach intensiven Vorbereitungen, speziell Latein-Studien, bei denen ihn Pfarrer Lauffs von Nideggen und Vikar Wollersheim in Kerpen unterstützten, wurde Kolping im Herbst 1837 in die Tertia des Kölner Marzellen-Gymnasiums aufgenommen. In nur dreieinhalb Jahren absolvierte er den Gymnasialkurs; eine um so erstaunlichere Leistung, wenn man bedenkt, daß er mehrfach durch Krankheiten (Pocken und Bluthusten) zum Pausieren gezwungen war und daß er sich seinen Lebensunterhalt größtenteils selbst verdienen mußte, vor allem durch das Erteilen von Nachhilfestunden. Deutlich wird bereits hier jener volle Einsatz aller verfügbaren Kräfte zur Erreichung eines besonderen Zieles, der sich auch durch noch so viele Hindernisse nicht beeinträchtigen läßt, wie er für Kolpings ganzes späteres Wirken kennzeichnend ist.
Tagebucheintragungen und Briefe an den Jugendfreund Karl Statz, den Sohn des Kerpener Lehrers, geben wichtige Aufschlüsse über die innere Verfassung und Entwicklung Kolpings in diesen Jahren. Sie zeigen etwa, daß es für Kolping als gereifte Persönlichkeit, die mit aller Macht auf ein festes Ziel hinstebte, nicht eben leicht war, sich in die Lebensverhältnisse eines Schülers einzufinden. Manche kritische Äußerung dem Schulalltag und der Lehrerschaft gegenüber ist von diesem stürmischen Vorwärtsdrang her zu verstehen und zu bewerten. In dieser Zeit reifte der Wunsch, Priester zu werden, zur endgültigen Gewißheit des Berufen-Seins; eine Entwicklung, die keineswegs ohne innere Kämpfe vor sich ging, etwa hinsichtlich der notwendigen „Lösung“ von der Jugendliebe Margarete Statz, der Schwester des Freundes. War das berufliche Ziel nun auch klar, so war damit jedoch noch keine nähere Vorstellung von einer bestimmten Richtung des späteren Wirkens verbunden. Ganz allgemein nur spricht Kolping in dieser Zeit von dem Ziel, etwas für die Menschheit zu tun, wie er es als grundsätzliche Pflicht des Gebildeten versteht, dem er eine hohe, kaum zu überschätzende Verantwortung als Volkslehrer zumißt. Immer wieder wird dabei deutlich, daß die Religion in Kolpings Sicht tragendes und bestimmendes Fundament aller Lebensäußerungen sein muß, wenn der Mensch seiner Aufgabe in der Welt gerecht werden will.
Im Frühjahr 1841 bestand Kolping das Abitur. Er konnte nun relativ sorgenfrei sein Theologiestudium beginnen, nachdem sich eine Wohltäterin gefunden hatte, die für die Sicherung des Lebensunterhaltes aufkommen wollte. Vor die Wahl einer Universität gestellt, entschied er sich für München, die damals führende katholische Universität Deutschlands. Die Münchener Zeit wurde für Kolping nicht nur eine ganz entscheidende Phase geistiger Prägung, ganz allgemein behielt er sie sein Leben lang in glücklicher Erinnerung. Neben der Stadt mit ihren Bauwerken und Kunstschätzen, ihrer ganzen Atmosphäre, nahm in dieser Erinnerung auch die Ferienreise im Herbst 1841 einen wichtigen Platz ein, eine Fußwanderung durch die Alpen bis nach Venedig, über die Kolping in einem sorgfältig geführten Tagebuch eingehende und fesselnde Auskunft gibt.
Theologiestudium in München, Bonn und Köln
Der deutsche Katholizismus befand sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer tiefgreifenden Umbruchsituation, und zwar sowohl in äußerer wie innerer Hinsicht. Auf der einen Seite war die Kirche durch die Säkularisation äußerlich geschwächt worden; seither befand sie sich – nicht zuletzt aufgrund ihrer nun doch nicht unerheblichen finanziellen Abhängigkeit vom Staat – stärker als zuvor staatlichem Einfluß, staatlichen Eingriffen ausgesetzt, bis hin etwa zur Genehmigungspflicht der Bekanntgabe kirchlicher Verlautbarungen durch die Behörden oder zur konkreten Mitsprache des Staates bei der Besetzung kirchlicher Ämter. Erschwerend wirkte in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß vielfach – durchaus auch in katholischen Staaten – gerade die Bürokratie Träger liberaler Anschauungen war, die in dieser Zeit vielfach mehr oder weniger antikirchliche Züge trugen. Bei aller Problematik des Vergleichs unterschiedlicher historischer Epochen wird man doch sagen können, daß die Situation der katholischen Kirche Deutschlands zur Zeit Kolpings in vieler Hinsicht weit schwieriger war als in unseren Tagen. Nicht zuletzt als Reaktion auf diese politische und weltanschauliche Bedrängnis kam es nun aber auf der anderen Seite zu einem inneren Erstarken der Kirche. Diese Entwicklung, die sich keineswegs auf Deutschland beschränkte, war freilich auch Antwort auf innerkirchliche Entwicklungen der vergangenen Zeit, wo sich im Gefolge der Aufklärung etwa Tendenzen herausgebildet hatten, die die traditionellen Formen der Volksfrömmigkeit bekämpften, die konfessionellen Unterschiede zugunsten eines allgemeinen christlich-humanen Ideals abzubauen suchten und sich bemühten, Glauben und Theologie mit vernünftigen, d. h. verstandesgemäßen Einsichten und Argumenten zu begründen bzw. zu untermauern, wo ebenso auch Bestrebungen aufgetreten waren, die auf eine größere Selbständigkeit der einzelnen nationalen Kirchen zielten. Die neue Richtung im Katholizismus, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzte, ist demgegenüber gekennzeichnet durch eine Intensivierung des kirchlichen Lebens und damit auch durch die stärkere Betonung kirchlicher Bräuche und Vorschriften, auf deren Einhaltung vorher vielfach nicht sonderlich hingewirkt worden war, durch die scharfe Betonung der konfessionellen Unterschiede, von der aus die im ganzen 19. Jahrhundert deutliche Konfrontation der großen christlichen Konfessionen in Deutschland wesentlich mitgeprägt wurde, durch das Streben nach umfassender innerer Geschlossenheit und den entsprechenden Kampf gegen alle realen oder vermeintlichen Irrtümer oder Abweichungen, durch die entschiedene Ausrichtung auf Rom, auf das Papsttum als Symbol der universalen Einheit der Kirche und zugleich als konkreten Träger aller Entscheidungsgewalt, durch den engagierten Kampf gegen die neuen, mit kirchlicher Lehre in irgendeiner Weise im Widerspruch stehenden weltanschaulichen Richtungen, speziell den Liberalismus mit seinen politischen und gesellschaftlichen Zielvorstellungen und Forderungen, schließlich auch die Forderung nach Freiheit der Kirche, d. h. Freiheit von staatlicher Bevormundung und staatlichen Eingriffen in Bereiche, die man – wie besonders das Schulwesen – als zum alleinigen oder primären Zuständigkeitsbereich der Kirche gehörig verstand. Eine wichtige Rolle in dieser Entwicklung, die gerade auch in der allmählichen Entfaltung eines vielfältigen katholischen Vereinswesens Ausdruck fand, kam naturgemäß den Universitäten zu, und hier stand eben die Münchens mit Gelehrten wie Joseph Görres und Ignaz Döllinger an führender Stelle.
Kolping fand in München rasch Zugang zum Kreis der katholischen Erneuerungsbewegung, deren Anschauungen er in vollem Maße teilte zw. sich aneignete. Ein besonders enges Verhältnis verband ihn mit den Professoren Döllinger und Windischmann. Letzterer war auch geistiger Leiter einer lockeren Vereinigung rheinischer und westfälischer Studenten, deren Haupt Kolping war und zu der auch Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der spätere Mainzer Bischof, gehörte, der etwa zur gleichen Zeit wie Kolping – ebenfalls als Spätberufener – sein Theologiestudium aufgenommen hatte. In diesem Zusammenhang ist übrigens jene in der Literatur verschiedentlich auftauchende Behauptung, daß Kolping in dieser Zeit von Ketteler grundlegende Anregungen für sein späteres Wirken als Gesellenvater empfangen habe, nachdrücklich in das Reich der Legende zu verweisen, da sie durch keinerlei Hinweise in den verfügbaren Quellen zu stützen ist. Tatsächlich war Kolping in dieser Zeit und auch später noch der Meinung, später vielleicht einmal auf wissenschaftlichem Gebiet tätig werden zu können. Festzuhalten ist allerdings, daß Kolping in wohl keinem anderen Lebensabschnitt – von der Kindheit natürlich abgesehen – so viele prägende geistige Einflüsse empfing wie in der Münchener Zeit, Einflüsse vor allem im Bereich seiner grundlegenden theologischen, gesellschaftlichen und pädagogischen Anschauungen.
Schweren Herzens verließ Kolping im Herbst 1842 München, das ihm zur geistigen Heimat geworden war, um sein Studium in Bonn fortzusetzen. Zwar war er dort der Heimat und den alten Freunde näher, im geistigen Klima der Bonner Universität konnte er sich jedoch bei weitem nicht so „zuhause“ fühlen, wie dies in München der Falle gewesen war. Deutlich wird dies besonders in den Briefen an den verehrten Münchener Lehrer Döllinger, in denen Kolping diesem eingehend über seine jeweilige Lebenssituation und die dazugehörigen äußeren Umstände berichtet. Für die Zeit bis etwa 1849 stellen diese Briefe die wichtigste Quelle der Biographie Kolpings dar.
Die Situation der Bonner Universität zu Beginn der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts war durch die Auseinandersetzungen um den Hermesianismus gekennzeichnet, eine von Georg Hermes begründete theologische Richtung, die – beeinflußt von der zeitgenössischen Philosophie, besonders von Kant – eine wissenschaftliche, vernunftgemäße Grundlegung des Glaubens anstrebte. Von diesem Ansatz her, der freilich keineswegs überall richtig verstanden und angemessen bewertet wurde, stieß der Hermesianismus auf die entschiedene Kritik der an Einfluß gewinnenden strengkirchlichen Richtung des deutschen Katholizismus, des Ultramontanismus, wie sie von ihren Gegnern genannt wurde. Zwar war die Lehre im Kern bereits 1835 durch Papst Gregor XVI. verurteilt worden, gerade an der Bonner Universität hatte sie jedoch noch immer eine starke Position, die erst im Laufe der Jahre durch die Entfernung der führenden hermesianischen Professoren vom Lehramt abgebaut wurde. Kolpings Bonner Zeit fällt in die letzte, entscheidende Phase dieser Auseinandersetzungen, die mit dem Amtsantritt des Koadjutors und späteren Erzbischofs Johannes von Geissel 1841 begonnen hatte. Führender Antihermesianer in Bonn war der von Geissel berufene Professor Dieringer, in dem Kolping einen dauerhaften Freund und Förderer fand. Der Student Kolping ließ die Ereignisse keineswegs passiv über sich ergehen; er zeigte sich vielmehr als entschiedener Gegner des Hermesianismus und kompromißloser Anhänger der neuen Richtung, der sich aktiv engagierte, der mit verschiedenen Aktivitäten unter der Studentenschaft und auch mit ersten publizistischen Arbeiten für seine Sache eintrat, wobei er als führender Kopf der antihermesianischen Studenten Bonns erscheint.
Das letzte Jahr seiner theologischen Ausbildung verbrachte Kolping im Kölner Priesterseminar, bis er am 13. April 1845 in der Minoritenkirche zu Köln durch Weihbischof Claessen die Priesterweihe empfing. Dieser bedeutendste Tag in seinem bisherigen Leben wurde allerdings durch den Tod des Vaters in der voraufgehenden Nacht überschattet, von dem Kolping unmittelbar vor dem feierlichen Einzug in die Kirche Mitteilung erhielt.
Kaplan in Elberfeld – Entstehung des Gesellenvereins
Der Neupriester Kolping erhielt seine erste Stelle als Kaplan in der St. Laurentius-Pfarrei zu Elberfeld. Elberfeld war damals eine Stadt von etwa 40.000 Einwohnern, die sich besonders durch ihr aufblühendes Wirtschaftsleben auszeichnete. In kaum einer anderen Stadt Deutschlands waren in dieser Zeit die neuen Entwicklungen im wirtschaftlichen und technischen Bereich, vor allem also das Vordringen der Fabrikindustrie, so weit fortgeschritten wie gerade in Elberfeld. Freilich bedeutet dies auch, daß die sozialen Probleme, von denen die Industrialisierung begleitet wurde, dort besonders ausgeprägt in Erscheinung traten, also etwa die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Handwerks und – vor allem – das Elend der zum Proletariat absinkenden bzw. bereits abgesunkenen Bevölkerungsgruppen, begleitet von einer zumindest in Ansätzen sichtbaren politischen Radikalisierung der Betroffenen. Sichtbaren Ausdruck fand dies im Revolutionsjahr 1848, wo es gerade auch in Elberfeld zu Unruhen unter der Arbeiterschaft und den Handwerksgesellen kam, zu Barrikadenbau und Straßenkampf. Zur Situation in Elberfeld schrieb Kolping an Döllinger: „Die große Masse der Fabrikarbeiter schmachtet im Elend, wie ich es nur im Wuppertal kennengelernt.“
Die katholische Gemeinde Elberfelds umfaßte etwa 10.000 Gläubige, war also Diöasporagemeinde in einer mehrheitlich protestantischen Umgebung. Im Zeichen sich verschärfender konfessioneller Gegensätze hatte sie infolgedessen keinen leichten Stand, zumal da die Gemeindemitglieder größtenteils den unteren sozialen Schichten angehörten. Besondere Schwierigkeiten gab es gerade in den Jahren um 1845 noch durch das Auftreten des Deutschkatholizismus, einer 1844 entstandenen, relativ kurzlebigen Sekte, die gerade im Wuppertal einen Schwerpunkt ihres Wirkens gefunden hatte und – zum Teil von prostestantischen Kreisen unterstützt – gegen die romtreue katholische Gemeinde agitierte. Der Elberfelder Protestantismus selbst war kein einheitliches Gebilde, sondern – geradezu ein Spezifikum der Stadt in dieser Zeit – durch das Nebeneinander und mitunter auch Gegeneinander einer großen Zahl recht unterschiedlicher Richtungen und Gemeinden gekennzeichnet.
Im Jahr 1846 war in Elberfeld ein Kreis junger Katholiken, zumeist Handwerksgesellen, zusammengetreten, um Lieder für die alljährliche Laurentius-Prozession einzuüben. Nach ihrem recht erfolgreichen ersten Auftreten beschlossen sie, auch weiterhin zusammenzukommen. Der Lehrer Johann Gregor Breuer, durch zahlreiche Vereinsgründungen um die Elberfelder katholische Gemeinde verdient, nahm sich dieser jungen Leute an. Er stellte ihnen einen Schulraum für ihre Zusammenkünfte zur Verfügung, erweiterte das Programm dieser Versammlungen durch bildende und belehrende Vorträge und formte die zunächst lockere Vereinigung schließlich zu einem festen Verein aus, dem er auch die ersten Statuten gab. Gegen Ende des Jahres 1846 war somit der Elberfelder Jünglingsverein ins Leben getreten, der Ursprung des katholischen Gesellenvereins und damit des heutigen Kolpingwerkes.
Die Frage nach dem Verdienst an der Gründung des Gesellenvereins hat seit dem Tode Kolpings zu einer langdauernden und zum Teil recht erbitterten Kontroverse geführt, vor allem von seiten Breuers und seiner Nachkommen, die – zum Teil gewiß mit Recht – das Verdienst dieses Mannes zu gering geachtet bzw. sogar unterschlagen sahen. Vom heutigen Kenntnisstand wird man zu dieser Frage sagen müssen, daß das Verdienst der Gründung des ersten Gesellenvereins zweifellos Breuer zukommt, daß freilich aus diesem einen Verein ohne das Wirken Kolpings wohl kaum eine über das Wuppertal hinausreichende Einrichtung geworden wäre, ganz sicher kein weltweiter Verband, wie ihn Kolping bereits zu Lebzeiten geschaffen hatte.
Noch im Jahr 1846 war Johann Steenaertz, erster Kaplan der Laurentius-Pfarrei, zum Präses des Jünglingsvereins gewählt worden. Vom gleichen Zeitpunkt datiert Kolpings Bekanntschaft mit diesem Verein, in dem er zunächst gelegentlich Vorträge hielt. Sehr bald gewann er die Herzen der Mitglieder, die erlebten, daß jemand zu ihnen sprach, der ihre Lage und ihre Probleme aus eigener Erfahrung kannte und sie wirklich verstehen konnte. Als Kaplan Steenaertz 1847 versetzt wurde, wählten die Gesellen Kolping zu ihrem Präses, den die übernommene Aufgabe immer stärker fesselte, der hier endlich seine Lebensaufgabe fand. In einem Brief vom 29.11.1848 an Ignaz Döllinger, in dem Kolping zum ersten Mal vom Gesellenverein und seinem Engagement für diesen Verein spricht, gibt er selbst klare Auskunft über diesen für seinen weiteren Lebensweg so bedeutsamen Schritt, wobei er zugleich all jene Auffassungen widerlegt, die bereits zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt bei Kolping das konkrete Ziel eines späteren Wirkens für die ehemaligen Standesgenossen sehen wollen. Kolping schreibt, nachdem er kurz über den Verein berichtet und die Hoffnung geäußert hat, diesen über Elberfeld ausbreiten zu können: „Ich muß gestehen, seit dieser Vereinsplan bei mir zur Reife gekommen, bin ich mir erst über mich selbst recht klar geworden, ich möchte sagen, sind mir die Wege Gottes erst zur Deutung gekommen. Während meines Aufenthalts in München und später trug ich mich insgeheim mit dem Gedanken herum, mich wissenschaftlichen Studien zu widmen …, und doch fand ich nie Gelegenheit, diesen Wünschen nachzukommen …Wie von selbst dagegen fand ich mich immer wieder unter dem Volke, aus dem mich Gottes Hand herausgeführt. Seit ich in unserem Verein aber wieder mit dem Volke volkstümlich verkehre, ist die Lust an wissenschaftlichen Studien gewichen, glaube ich gar zu bemerken, daß ich dazu im Grunde sehr wenig geeignet bin, dagegen finde ich mich in einer solchen Volksprofessur ganz in meinem Elemente. Ich glaube, es dürfte vielen so ergehen, wenn die Praxis sie erst über sich selbst aufklärte.“
Sobald Kolping sich über diese seine Berufung klar geworden war, faßte er den Plan, den Gesellenverein auszubreiten. Im bereits zitierten Brief heißt es dazu: „Ich brenne vor Verlangen, diesen Verein noch im ganzen katholischen Deutschland eingeführt zu sehen …In unserer Zeit, wo die soziale Frage sich mit der religiösen entschieden in der Vordergrund drängt, wo die Umstände uns gewissermaßen mit Gewalt ins Volk werfen, ist der Verein ein herrliches Mittel, an der Lösung obiger Fragen tätig zu arbeiten, uns zugleich als wahre Volksfreunde zu zeigen.“ An späterer Stelle wird näher darauf einzugehen sein, welche grundlegenden Ideen und Ziele Kolping bei seinem Wirken im Gesellenverein bestimmten, weit hinausreichend über das Nahziel einer konkreten Hilfe für den Gesellenstand; hier ist zunächst nur hervorzuheben, daß er sich vom Jahr 1848 an (seit jenem Revolutionsjahr also, das der katholischen Kirche einen erheblichen Fortschritt im Bemühen um größere Unabhängigkeit von staatlichem Einfluß brachte, wobei sich die neue Freiheit gerade auch in einem raschen Aufblühen des katholischen Vereinswesens manifestierte, von dem die Katholikentage ihren Ausgang nahmen, deren erster in eben diesem Jahr stattfand, ebenso wie auch die erste Zusammenkunft der deutschen Bischöfe) aktiv um die Ausbreitung des Gesellenvereins bemühte, durch Reisen wie auch durch publizistische Aktivitäten. Zu Ende dieses Jahres veröffentlichte er seine erste programmatische Schrift „Der Gesellenverein“, in der er Ausgangslage und Anliegen seines Wirkens darstellte und zu entsprechenden Aktivitäten aufrief. Kolping hatte im übrigen längst erkannt, daß seinen Wirkungsmöglichkeiten in Elberfeld Grenzen gesetzt waren, daß eine weit erfolgreichere Aktivität von Köln aus möglich sein würde, der Metropole des westlichen Deutschlands. Nach entsprechenden Versetzungsgesuchen erhielt er 1849 eine Stelle als Domvikar in Köln, wo dann mit der Gründung des Gesellenvereins am 6. Mai 1849 der Grundstein für die Schaffung eines Werkes gelegt wurde, das bis 1865, dem Todesjahr Kolpings, schon über zwanzigtausend Mitglieder in mehr als vierhundert Vereinen zählte.
Domvikar in Köln – Ausbreitung des Werkes
Mit rastlosem Eifer widmete Kolping sich in den ihm noch verbleibenden 16 Lebensjahren dem Ausbau seines Werkes, vor allem natürlich zunächst einmal der Ausbreitung des Gesellenvereins. Diesem Ziel dienten mehrere ausgedehnte Reisen, die erste 1852, die Kolping durch ganz Deutschland, die Schweiz und Österreich bis hin nach Jugoslawien und Ungarn führten, wobei er jeweils eine ganze Reihe neuer Vereine ins Leben treten ließ. Mit sicherem Gespür wurde dabei stets ein geeigneter Geistlicher zum ersten Präses ausgewählt, so etwa Anton Gruscha in Wien, Georg Mayr in München und Eduard Müller in Berlin, Männer mit denen Kolping später ein enges Freundschaftsband verknüpfte. Bei diesen „Missionsreisen“ war es übrigens keineswegs überall erforderlich, gleichsam aus dem Nichts einen Gesellenverein ins Leben zu rufen. Tatsächlich fand Kolping vielmehr zum Teil bereits erste Ansätze vor, die in die von ihm erstrebte Richtung wiesen und die nurmehr der festen Ausformung bedurften. So gab es Ansätze, die sich – wie in München und Berlin – parallel zum Kolpingschen Wirken entfaltet hatten, was auf die tatsächliche, eben nicht nur von Kolping gesehene Aktualität einer solchen Aufgabe hinwies, vor allem aber solche, die auf der raschen Verbreitung der Kenntnis von Ideen und Aktivitäten Kolpings beruhten. Dieses Kennenlernen eines konkreten Versuchs zur Bewältigung weithin ähnlich empfundener Probleme führte dann auch zu der selbständigen Gründung der Masse der Gesellenvereine, bei der Kolping selbst natürlich nicht überall persönlich wirksam werden konnte. Hier ist die Rolle jener Männer zu würdigen, die – wie vor allem Gruscha und Mayr – die ersten Vereine in ihren Ländern leiteten und nun in eigenständigem Bemühen an den Aufbau des Vereinswesens in ihrem Bereich gingen, wobei sie im Zuge der sich allmählich ausbildenden organisatorischen Struktur des Verbandes im Regelfall dann auch führende Positionen als Zentral-, Landes- oder Diözesanpräses einnahmen.
Nicht zuletzt ist aber auch die wichtige Bedeutung hervorzuheben, die den Gesellen selbst für die Ausbreitung des Verbandes zukommt. Vielfach war es so, daß Gesellen, die Mitglied eines Vereins gewesen waren und seine positive Bedeutung persönlich erfahren hatten, selbst die Initiative zu Vereinsgründungen unternahmen, wenn sie auf der Wanderschaft in Orte kamen, an denen noch kein Verein bestand. Man wird sagen können, daß es sicherlich noch weit mehr Vereinsgründungen gegeben hätte, wenn es dazu allein des Interesses der Gesellen bedurft hätte. Kolping selbst hat diesen Weg der Ausbreitung des Verbandes bewußt gefördert, er hat manchem Mitglied des Kölner Vereins bei seinem Weggang – oder auch später noch auf brieflichem Wege – entsprechende Hinweise und Ratschläge gegeben.
Zur Verbreitung der Kenntnis von seinem Werk – und damit zur indirekten Mitwirkung an der Gründung weiterer Vereine – bediente sich Kolping darüber hinaus publizistischer Mittel. Mit programmatischen Schriften und durch zahlreiche Beiträge in den von ihm redigierten Zeitschriften wirkte er in dieser Richtung, dann aber auch durch Auftritte bei zahlreichen Katholikentagen. Sie waren insofern von Bedeutung, als sich für Kolping dort die Gelegenheit bot, sich selbst und sein Anliegen einem Publikum bekannt zu machen, das doch eine gewisse Elite des deutschen Katholizismus darstellte.
Kolpings Wirken als Gesellenvater beschränkte sich natürlich nicht auf die Ausbreitung seines Werkes. Einen weiteren umfassenden Tätigkeitskomplex bildete die im weitesten Sinne verstandene materielle Fürsorge für die Vereine, speziell für den Kölner, dessen Präses er ja stets blieb, dann besonders auch für den Mutterverein Elberfeld, dem er auf alle mögliche Art und Weise zu helfen suchte. Sehr bald schon hatte Kolping die Überzeugung gewonnen, daß es nötig war, den Vereinen – deren Leben sich anfänglich in den verschiedensten mehr oder weniger geeigneten Lokalitäten abspielen mußte – ein eigenes Heim zu geben, ein speziell auf die Bedürfnisse des Vereins zugeschnittenes Haus, das dann gerade auch als wirkliches Heim für die auf Wanderschaft befindlichen Gesellen dienen konnte und sollte, um sie nicht auf das Herbergswesen mit all seinen Gefahren angewiesen sein zu lassen. In seiner 1852 erschienen Schrift „Für ein Gesellenhospitium“ legte Kolping seine diesbezüglichen Ideen und Zielsetzungen dar und rief zugleich alle Vereine auf, sich so rasch wie möglich ein eigenes Hospitium zu schaffen.
Das Kölner Hospitium in der Breite Straße konnte bereits im Mai 1853 eröffnet werden, wobei Kolping zu manchem Bettelzug genötigt gewesen war, um die Finanzierung des Hauskaufes zu sichern. Neben der Sorge für die materielle Sicherung des Hauses und seine Unterhaltung – die laufenden Kosten bestritt Kolping größtenteils aus eigener Tasche – bedrückten Kolping auch manche Schwierigkeiten, die ihm bei seiner Arbeit von seiten der Behörden gemacht wurden, speziell durch die Kölner Bezirksregierung. So wandte sich diese gegen die Gewährung der Korporationsrechte – d. h. die Rechte einer juristischen Person – an den das Hospitium tragenden Verein; erst nach langer Verzögerung konnten diese auf dem Weg über eine unmittelbare Wendung an König Friedrich Wilhelm IV. erlangt werden. Dieselben Kreise waren es, die jahrelang mit Erfolg Kolpings Vorhaben sabotierten, das Nachbargrundstück des Kölner Hospitiums zu erwerben, um darauf einen Erweiterungsbau zu erstellen. Fast zehn Jahre dauerten die entsprechenden Auseinandersetzungen, bis Kolping schließlich aufgab und den Neubau im Garten des eigenen Grundstücks errichtete. Erwähnt wird dies hier zum einen als Hinweis auf die Vielfalt konkreter Aufgaben und Probleme, denen sich Kolping als Präses des Kölner Gesellenvereins gegenübersah, zum anderen aber auch als beispielhafter Hinweis darauf, daß Ausbreitung und Aktivitäten des Gesellenvereins keineswegs überall auf die volle Unterstützung oder auch nur wohlwollenden Duldung der weltlichen Obrigkeit zählen konnten, vielmehr mancherorts auf Widerstände oder sogar ernsthafte Schwierigkeiten stießen. Dabei sind natürlich große lokale und regionale Unterschiede gegeben, der Vielfalt der politischen Landkarte Deutschlands in jener Zeit entsprechend. Was Preußen betrifft, so kann das Vorhandensein derartiger Widerstände nicht überraschen, stand die preußische Bürokratie in dieser Zteit doch weithin jedweder katholischen Aktivität – erst recht dann, wenn sie über den engeren kirchlichen Bereich hinauswies – kritisch, wenn nicht ablehnend gegenüber. In seinen publizistischen Aussagen enthielt Kolping sich natürlich der offenen Kritik an den Behörden, wie sie sehr leicht Zensurmaßnahmen hätte nach sich ziehen können, in manchen Briefen finden sich aber aufschlußreiche Ausführungen zu diesem Komplex.
Kolpings Wirken im Gesellenverein ist schließlich noch unter einem dritten Aspekt zu sehen, nämlich dem der Führung eines sich rasch ausbreitenden Verbandes. Im Oktober 1850 schlossen sich die ersten drei Vereine (Elberfeld, Köln und Düsseldorf) zum Rheinischen Gesellenbund zusammen, der sich dann bereits seit 1851 Katholischer Gesellenverein nennt, um auszudrücken, daß es bei der angestrebten Ausweitung keine territorialen Begrenzungen geben sollte. Schwerpunkte dieser Ausweitung, die seit 1852 rasch erfolgte, waren zu Lebzeiten Kolpings neben dem Rheinland und Westfalen Bayern und Österreich, die traditionell katholischen Länder also, während der Verein in der Diaspora anfänglich nur sehr schwer Fuß zu fassen vermochte. Wichtige organisatorische Entwicklungen vollzogen sich in den Jahren nach 1859 durch die formelle Einrichtung von Diözesan- und Landesverbänden, wie sie aufgrund der gestiegenen Zahl der Vereine möglich und notwendig geworden war, zugleich aber auch den engen Anschluß des Vereins an die Kirche und ihre Struktur zum Ausdruck bringen sollte.
Als Generalpräses des Katholischen Gesellenvereins betonte Kolping einerseits zwar die notwendige Selbständigkeit der einzelnen Vereine bzw. der organisatorischen Zwischenglieder in der Ordnung und Gestaltung ihres konkreten Wirkens; sie erschien ihm erforderlich , um die Vielfalt unterschiedlicher Gegebenheiten und Bedingtheiten in den verschiedensten Bereichen angemessen berücksichtigen zu können. Andererseits jedoch betonte er die Notwendigkeit der Geschlossenheit und Einheitlichkeit des Verbandes im grundsätzlichen Bereich, in den Grundlagen der Arbeit. Entsprechend ergab sich für den Generalpräses ein breites Aufgabenfeld, wobei daran zu erinnern ist, daß Kolping noch keinerlei Führungs- und Verwaltungsapparat zur Verfügung hatte, daß er in der Leitung des Vereins weitgehend auf sich selbst gestellt war. Zu den anfallenden Aufgaben gehörten etwa die Vorbereitung und Durchführung von Generalversammlungen, die Sammlung und Auswertung statistischen Materials, die Ausarbeitung grundlegender Direktiven, wie etwa der Wanderordnung, das Erstellen von im ganzen Verband einheitlich zu verwendenden Materialien, etwa das Wanderbuch oder das Aufnahme-Diplom für neue Vereine, und vieles andere mehr. Nicht zu vergessen ist die umfangreiche, überaus zeitraubende Vereinskorrespondenz Kolpings, jener Teil seines Briefwechsels also, in welchem er seinen Mitbrüdern im Präsesamt Auskünfte, Ratschläge oder Weisungen zu den verschiedensten Fragen des Vereinslebens gab, besser gesagt, geben mußte, da es sich hier doch in der Regel um Antworten Kolpings auf Anfragen handelte, die an ihn als den Schöpfer und Leiter des Verbandes – der als solcher unbestrittene Autorität genoß – herangetragen wurden. Zu dieser Führungsarbeit gehörte schließlich auch die seit 1863 erfolgende Herausgabe eine speziellen Organs für die Vereinsvorstände, der „Mittheilungen“, das neben der Information über die Entwicklung des Verbandes dem Austausch von Erfahrungen aus dem Vereinsleben und der beratenden Anleitung zu dessen konkreter Ausgestaltung dienen sollte.
Kolping als Publizist und Volkschriftsteller
Gegenüber dem Wirken im Gesellenverein, seinem Lebenswerk, tritt das Bild des Publizisten Kolping oft in den Hintergrund. Tatsächlich aber war das publizistische Wirken für Kolping ein so breites Arbeitsfeld neben der Tätigkeit im und für den Gesellenverein, daß durchaus von einem zweiten „Hauptberuf“ gesprochen werden könnte. Diese Arbeitslast, deren Druck Kolping in vielen Briefen hervorhebt, nahm er nicht allein wegen der gegebenen und bewußt angestrebten Wirkungsmöglichkeiten des geschriebenen Wortes in Kauf; von doch wesentlicher Bedeutung ist die Tatsache, daß ihm der Ertrag dieser sehr erfolgreichen Arbeit die finanzielle Grundlage für sein Wirken im Gesellenverein verschaffte. Die Unkosten der Unterhaltung des Kölner Hospitiums, die Aufwendungen für eigene Lebensführung, gerade auch für die vielen Reisen, und manches andere mehr, wurde zum größten Teil aus eben diesen Einnahmen bestritten. Bis zu seinem Tode hatte Kolping zudem noch eine Summe von 10.000 Talern angesammelt, die er als Grundstock für den Lebensunterhalt seiner Amtsnachfolger hinterließ.
Gleich nach seiner Übersiedlung nach Köln war Kolping, der ja bereits als Student in Bonn erste publizistische Erfahrungen gesammelt hatte, Mitarbeiter des Rheinischen Kirchenblattes geworden, eines primär das kirchliche Leben im Erzbistum Köln behandelnden Wochenblattes, dessen alleinige Redaktion er 1850 übernahm. Vom gleichen Zeitpunkt an gab er eine eigenständige Beilage zum Kirchenblatt heraus, anfänglich „Vereinsorgan“ genannt, später „Feierstunde“, in der es in erster Linie um Belange des Gesellenvereins ging. 1854 gab Kolping diese Tätigkeit auf und gründete ein eigenes Blatt, die Rheinischen Volksblätter, das er bis zu seinem Tode als Herausgeber und Redakteur führte. Den größten Teil der anfallenden Arbeiten mußte er selbst übernehmen; sicherlich eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, daß das Blatt wöchentlich mit einem Umfang von sechzehn Seiten erschien. Diese Volksblätter waren weit mehr als ein Organ des Gesellenvereins. Zwar berichteten sie über Situation und Entwicklung des Verbandes bzw. einzelner Vereine und erhielten auch speziell den Gesellenverein betreffende Beiträge sonstiger Art, darüber hinaus boten sie jedoch ein breites Inhaltsspektrum, das etwa von der belehrenden, erbauenden oder unterhaltenden Erzählung oder Kurzgeschichte über zeitkritische Abhandlungen aus den verschiedensten Bereichen bis hin zu kirchlichen Nachrichten und einer regelmäßigen Übersicht über das politische Geschehen in aller Welt reichte. Das Blatt konnte und wollte einen größeren Leserkreis als die Mitglieder des Gesellenvereins ansprechen; in seiner ganzen Konzeption war es auf das städtische Kleinbürgertum und die Landbevölkerung zugeschnitten, woher sich auch die Masse der Leser rekrutierte, und zwar keineswegs nur im engeren Umkreis Kölns.
Eine ganze Zeit waren die Volksblätter das wichtigste, nicht im engeren Sinne kirchliche Organ von entschieden katholischer Haltung im Rheinland, wobei in den besten Jahren eine Auflage von mehr als 6000 erreicht wurde. Dies ist eine für damalige Zeiten beachtliche Zahl, war doch die Kölnische Zeitung mit rund 15000 Abonnenten bereits die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands. Ihre beste Zeit hatten die Volksblätter in den Jahren um 1860, als Kolping – den aktuellen Ereignissen und den Interessen der Leser folgend – der politischen Berichterstattung und Kommentierung mehr und mehr Raum gab. Im Vordergrund des Interesses stand in diesen Jahren die Entwicklung in Italien. Hier fand die auf nationale Einheit zielende Bewegung, die im Königreich Sardinien-Piemont ihre Hauptstütze hatte, zunächst in Österreich ihren wichtigsten Gegner, dann aber, nachdem Österreich 1859 von dem mit Piemont verbündeten Frankreich besiegt worden war und den größten Teil seine italienischen Herrschaftsbereiches hatte aufgeben müssen, zunehmend im Kirchenstaat, dem weltlichen Machtbereich des Papsttums also, der in den Jahren bis 1870 Stück um Stück in das zum geschlossenen Nationalstaat zusammenwachsende Italien eingegliedert wurde. Kolping stand mit seinem Blatt uneingeschränkt auf seitens des Papsttums und gegen die vom Liberalismus – seinem weltanschaulichen Hauptgegner – getragene italienische Einigungsbewegung mit ihrem Verbündeten Frankreich. Entsprechend wandte er sich auch scharf gegen die liberalen Kräfte Deutschlands, die die Entwicklung in Italien unterstützten und zu deren wichtigsten Stimmen gerade die Kölnische Zeitung gehörte, die anzugreifen Kolping in kaum einer Nummer der Volksblätter vergaß. Was die politische Lage in Deutschland betrifft, wo mehr und mehr ja ebenfalls die nationale Einigung in den Vordergrund des Interesses rückte, so war Kolping hier eindeutig großdeutsch gesinnt, d. h. Verfechter einer politischen Neugestaltung der Nation unter Einschluß Österreichs, wie sie gerade von den liberalen Kräften Preußens abgelehnt wurde und nach dem Krieg von 1866 ja endgültig unmöglich geworden war. In seinen politischen Kommentaren zu deutschen Frage legte Kolping freilich größte Zurückhaltung an den Tag, eine angesichts der noch recht strengen preußischen Pressepolitik wohlbegründete Vorsicht.
Zwei weitere Bereiche publizistischen Wirkens Kolpings sind noch zu erwähnen. Zum einen die Herausgabe der bereits erwähnten „Mittheilungen“, zum anderen die jährliche Veröffentlichung eines Volkskalenders, und zwar seit 1850. Diese Kalender, die neben dem Kalendarium und einer Reihe sonstiger Sachinformationen jeweils eine Anzahl unterhaltender und belehrender literarischer Beiträge enthielten, waren in jener Zeit vor allem auf dem Lande verbreitet, wo sie nicht selten den einzigen Lesestoff der einfachen Leute bildeten. Kolping veröffentlichte hier eine ganze Reihe größerer Erzählungen, mit denen er seinen Ruf als einer der führenden katholischen Volksschriftsteller seiner Zeit begründete. Noch zu seinen Lebzeiten wurden diese Erzählungen in eigenständigen Sammelbänden neu zur Veröffentlichung gebracht; in den folgenden Jahrzehnten erlebten sie noch eine Fülle von Neuausgaben.
Kolpings Wirken in Köln ist mit den bisherigen, notgedrungen skizzenhaften Ausführungen noch keineswegs vollständig umrissen. Nicht zu vergessen ist ja, daß er zunächst einmal Geistlicher der Kölner Erzdiözese und als solcher ebenfalls arbeitsmäßig in Anspruch genommen war. Als Domvikar gehörten Gottesdienst, Predigt und Chorgebet im Dom zu seinen Aufgaben; zugleich fungierte er als Kaplan des Weihbischofs Baudri, den er auf verschiedenen dienstlichen Reisen begleitete, und schließlich war er als apostolischer Notar seit 1850 auch noch in der Bistumsverwaltung eingesetzt, und zwar speziell im Bereich des geistlichen Gerichtswesens. Diese zusätzlichen Aufgaben überstiegen allerdings bald Kolpings Arbeitskraft, so daß er sich genötigt sah, einen jüngeren Geistlichen als ständigen Stellvertreter anzustellen und aus eigenen Mitteln zu besolden, der ihn in seinen Funktionen als Domvikar vertreten, ihm aber auch bei der Arbeit im Gesellenverein zur Hand gehen könnte. In der Reihenfolge waren in dieser Position ab 1854 Friedrich Koenen, später als Domkapellmeister bekannt geworden, Hermann Joseph Heckhausen, Hermann Joseph Benedikt Asthöwer und zuletzt – ab 1859 – Wilhelm Servatius Flücken, der Kolping zum treuen Freund und unentbehrlichen Mitarbeiter in seinem ganzen Arbeitsbereich wurde. Für kürzere Zeit hatten Kolping schon vorher Leopold Graf Spee und Matthias Heinrich Kirch als Helfer zur Seite gestanden.
Mit Ende des Jahres 1861 gab Kolping die Domvikarie auf, um sich ganz seinen sonstigen Aufgaben widmen zu können. Er hatte seither die Stelle eines Rektors der Minoritenkirche inne, die er aus eigenen Mitteln für sich selbst und seine Nachfolger im Amt des Generalpräses dotierte. Mit dieser Stellung waren an sich zwar keine besonders aufwendigen Verpflichtungen verbunden, Kolping bürdete sich hier dann aber doch eine zusätzliche Arbeitslast auf, nämlich die der inneren Restauration der Kirche. Nach langem Verfall war es durch Spenden Kölner Bürger – vor allem von Johann Heinrich Richartz, dem Stifter des Wallraf-Richartz-Museums, das in den Jahren 1861-65 unmittelbar neben der Minoritenkirche erbaut wurde – zwar ermöglicht worden, die Kirche vor dem Abbruch zu bewahren und äußerlich wiederherzustellen, noch aber war ihr Inneres in einem arg verfallenen Zustand. Die würdige Wiederherstellung dieses in Köln seit Jahrhunderten hochgeschätzten Gotteshauses wurde zu einem Herzensanliegen Kolpings in seinen letzten Lebensjahren, dem er manche Aktivität und auch nicht unbeträchtliche finanzielle Mittel opferte. Aufschluß darüber geben etwa die Briefe an den Maler Edward von Steinle, den Kolping für die Mitarbeit an diesem Werk hatte gewinnen können.
Im Sommer 1862 ging Kolpings langgehegter Wunsch in Erfüllung, dem Heiligen Vater in Rom persönlich über Lage und Entwicklung des Gesellenvereins Bericht zu erstatten und von ihm den Segen für das Werk zu erbitten. Kolping wurde bei seinem Aufenthalt in Rom – nachdem er noch unmittelbar vor der Abreise zum päpstlichen Geheimkämmerer ernannt worden war – zweimal von Pius IX. in Audienz empfangen, dabei sehr wohlwollend behandelt und zum Abschied mit einem kostbaren Meßgewand beschenkt. Dies bestätigte die bereits bei früheren Anlässen deutlich gewordene Tatsache, daß sich Kolpings Werk – in dieser Zeit ja ein durchaus neuartiges Element im katholischen Raum – beim Oberhaupt der Kirche doch eines positiven Ansehens erfreuen konnte.
Besondere Ehrung hat Kolping ansonsten zu Lebzeiten nicht erfahren, auch keine besonderen geistlichen Würden erlangt, beides allerdings letztlich auch gar nicht angestrebt. Bei seinem immensen Einsatz für seine als Berufung verstandene Aufgabe ging es Kolping niemals um persönliche Ehre oder um einen persönlichen Vorteil; ja, letztlich ging sein Engagement bis hin zu Rücksichtslosigkeit der eigenen Person, dem eigenen Wohlergehen gegenüber. Man wird sagen dürfen, daß Kolpings relativ früher Tod im 53. Lebensjahr mit die Folge seines rastlosen Wirkens war, zumal da er ohnehin nie über eine besonders robuste Konstitution verfügt hatte, sich dennoch aber im Jahr höchstens einige Wochen der Erholung im Seebad Ostende gegönnt hatte, zu der er meist noch vom Arzt förmlich hatte gezwungen werden müssen.
Kolping wurde nach seinem im ganzen katholischen Deutschland und darüber hinaus mit Bestürzung zur Kenntnis genommen Tod am 4. Dezember 1865 – nur wenige Wochen nach der Einweihung des neuen Kölner Hospitiums, bei der er zum letzten Male öffentlich aufgetreten war – zunächst auf dem Kölner Melatenfriedhof begraben. Nach Einholung der erforderlichen Genehmigungen erfolgte dann, seinem eigenen Wunsche gemäß, im April 1866 die Überführung und endgültige Beisetzung in der Minoritenkirche, in „seiner“ Kirche also, die ja auch heute noch sein Grab beherbergt, das inzwischen zu einer von Hunderttausenden besuchten Gedenkstätte geworden ist. Die ursprüngliche – im Zusammenhang mit der 1991 erfolgten Seligsprechung Kolpings entfernte – Grabplatte trägt die von Adolph Kolping selbst vorgesehene schlichte Inschrift: Hier ruhet Adolph Kolping. Er bittet um das Almosen des Gebetes.